Heilfasten, Schönheitsfasten … Alles gut und schön, aber sicher nicht die Hauptabsicht der Kirche, wenn sie uns im Gehorsam gegenüber der Überlieferung der Apostel in der Fastenzeit Einschränkungen nicht nur in unerlaubten, sondern auch massvollerweise in erlaubten Dingen auferlegt. In den letzten Jahrzehnten ist das körperliche Fasten – d.h. die einmalige Sättigung am Tag – auf ein Minimum, nämlich auf zwei Tage – Aschermittwoch und Karfreitag – für alle unter 60 Jahren verpflichtend festgelegt – also gerade einmal ein wenig mehr als nichts; und auch dies ist einer Grosszahl der Gläubigen nicht mehr bekannt, weil darüber so gut wie nicht mehr geredet wird. Gesundheitsfasten ect.: Ja – Bussfasten für unsere Sünden und für die grossen Anliegen der Kirche und der Menschheit: unzumutbar, so das allgemeine Lebensgefühl der Gutmenschen, die dies als Herabsetzung ihrer strahlenden und eingebildeten Unschuld und Selbstbestimmtheit empfinden, bis in gläubige Kreise hinein.
Der Mensch aber bedarf des körperlichen und vor allem geistig-geistlichen Fastens, der freiwilligen Einschränkung seiner wirklichen oder eingeredeten Bedürfnisse. Was geschieht denn eigentlich, wenn der Mensch seinen gewohnten Impulsen ein wenig Abbruch tut? Er lernt Nein zu sagen zu seinen Ich-bezogenen Neigungen und Begierden. „Nein sagen“: Puuh! wie schrecklich, negativ, freudlos …, und dazu auch noch zur geradezu kultischen Aufwertung des eigenen Ich und seiner oft angemassten Belange, so hört man schon reflexartig einwenden. Doch ist das Verneinen kein Selbstzweck; dann würde der reflexartige Einwand durchaus berechtigt sein. Aber kann man überhaupt etwas Bejahen, ohne das Gegenteil davon zu verneinen? Das Ja eines Menschen zu Gott und zu seinem Nächsten ist soviel wert, wie sein Nein zum Gegenteil, zur Sünde wert ist. Das vor dem Altar gesprochene Ja des Bräutigams zu seiner Braut beinhaltet hinsichtlich der Ehe das Nein zu allen anderen Frauen, sonst wäre sein Ja-Wort nichts wert. Deswegen war das Ja-Wort der allerseligsten Jungfrau zu Gott und ihren Kindern so gross, so stark und bedingungslos, weil ihr Nein gegenüber der alten Schlange und der Sünde so entschieden war.
Unser Ja zu Gott, zu unseren Lieben und zu unseren Pflichten wird umso stärker und zuverlässiger sein, je entschiedener unser Nein zur Ich-Verhaftung ist. Unsere Liebe ist in dem Masse ernst zu nehmen, als unser Nein zur Sünde es ist. Somit ist es für den Menschen existentiell, Nein sagen zu können, um des grossen Jawortes willen zu Gott, zum Ewigen Leben, zum Nächsten und letztlich auch zu uns selbst.
Die in der Tradition der Apostel geübte Fastenzeit ist daher so etwas wie ein Naturgesetz für den nacherbsündlichen Menschen, ein fester Bestandteil seines Heilsweges zu Gott. Sie ist geradezu eine Schule, eine Übungszeit des Nein Sagen-könnens um der Liebe willen.
In einer Gesellschaft gewerblich eingeredeter Bedürfnisse und Süchte ist die Schule des Nein Sagen-könnens eine Überlebensfrage des nicht Erkaltens der Liebe, der geistigen Selbstständigkeit und inneren Freiheit. Manche gleichen ihr Fasten deshalb im Rahmen der Möglichkeiten den modernen Formen der Abhängigkeit und Weltverfallenheit an: Digitalfasten, Alkoholfasten, Fasten bzgl. Kommunikationmittel, das Fasten einer Tagesordnung, des Gebetes vor allem und der Einschränkung der oft übertriebenen körperlichen Bedürfnisse, Genüsse sowie ungeordneter Abhängigkeiten.
So ist eine Zeit des Fastens eine Segenszeit, eine positive, freudvolle und aufbauende Zeit: Um der Liebe Christi willen und der Treue zu ihr. Dies tut uns und der ganzen heiligen Kirche Gottes wahrhaft not und gut.
Kaplan Stephan Maessen

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