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Heiterkeit

Eine Tugend als Lebenshilfe




 

In seinem Brief “An die Priester zum Grün­donnerstag 1991" schrieb der Hl. Vater Papst Johannes Paul II.:

 

“Je mehr wir das Gefühl haben, dass uns unsere Sendung (als Priester) überfordert, desto mehr müssen wir uns dem Wirken des Heiligen Geistes öffnen. Das gilt insbesondere dann, wenn die geistige und gefühlsmässi­ge Ablehnung, der Widerstand einer unter dem Einfluss des ‘Geistes der Welt’ (vgl. 1 Kor 2,12) entstandenen Zivilisation besonders spürbar und stark wird.”

 


Wenn wir die Situation der Kirche betrach­ten, so ist die Ablehnung und der Wider­stand gegen die Kirche “unter dem Einfluss des Geistes der Welt”, von dem Paulus im ersten Korintherbrief spricht, erschreckend gross geworden. Wir müssen feststellen, dass es ein Merkmal des 20. und des begin­nenden 21. Jahrhunderts ist, in welchem der “Geist der Welt” sich mit radikaler Ab­lehnung gegen die Kirche und deren Gläu­bige richtet. Vor allem das 20. ist in der Geschichte der Kirche jenes Jahrhundert, in dem katholische Gläubige am meisten Zeug­nis ablegen mussten für ihren Glau­ben, unblutig und vor allem blutig. Es ist mit Recht “das Jahrhundert der Märtyrer” genannt worden.

Ich erwähne dies deshalb, weil wir ein­mal bedenken sollten, dass zwischen Heili­gem Messopfer und Martyrium ein innerer Zusammenhang besteht. Theodor Schnitz­ler schreibt in seinem Büchlein “Die Messe in der Betrachtung”:

 

“Die reifste Frucht der Messe ist das Martyrium. Aus dem Opfer Christi wächst das Opfer des eigenen Le­bens.”

 

Diese Wahrheit wird unübertroffen ausge­sprochen in der Secret von der Messe am Donnerstag nach dem 3. Fastensonntag. Stationskirche für diese Messe war früher in Rom die Kirche der beiden hl. Martyrer Kosmas und Damian. Die Secret lautet:

 


“Um des kostbaren Sterbens Deiner Gerechten willen, o Herr, bringen wir jenes Opfer dar, von dem jedes Martyrium seinen Ausgang nimmt.”

 

Es war in den ersten Zeiten des Christen­tums oft üblich, den Leib der Martyrer zur Beerdigung in ein Altarlinnen zu hüllen, auf dem zuvor das Hl. Messopfer darge­bracht worden war. Hat dies nicht einen tiefen, wunderbaren Sinn? Dasselbe Lin­nen, auf dem das Lebensopfer Christi ver­gegenwärtigt wurde, umhüllt nun den Leib des Blutzeugen, an dem erfüllt wurde, was an den Drangsalen Christi noch mangelt (vgl. Kol 1,24), wie Paulus im Brief an die Kolosser schreibt.

Dieser Brauch geschah zu recht, da der Leib des Martyrers in dem Augenblick zum Altare wurde, als auf ihm das Opfer seines Lebens für Christus dargebracht wurde. Das blutige Martyrium, der Tod für Chris­tus, ist gleichsam das letzte Messopfer des Zeugen Christi. Der Martyrer opfert sich nicht nur zeichenhaft durch die Opfergaben von Brot und Wein, sondern er opfert sich wirklich mit und für Christus. Und weil die Hl. Messe Mitopfer und Mitgeopfertwer­den mit Christus ist, so ist das Blutzeugnis für einen Christen die letzte hervorragends­te Konsequenz seines Lebens.


Dies gilt nicht nur für die Priester, die täglich das Hl. Messopfer darbringen, das gilt auch für alle, auch wenn das Blutzeug­nis für Christus hier und jetzt von uns nicht gefordert ist. Aber es gibt wohl niemanden unter uns, der nicht in irgendeiner Weise die Ablehnung, den Widerstand und den Hass des “Geistes dieser Welt” zu spüren be­kommt. Selbst Klostermauern vermögen die Widerwärtigkeiten und Traurigkeiten des Lebens nicht fern zu halten. Man kann dies als “das Martyrium des grauen Allta­ges” (Th. Schnitzler) bezeichnen, dem wir nicht entrinnen können, das ausgehalten und durchgestanden werden muss. Dass dies manchmal unsere letzten physischen und psychischen Kräfte fordert und sie auf­zehrt, wissen wir alle zur Genüge. Die Fol­ge davon ist, dass uns Mutlosigkeit und Verzagtheit niederdrücken, dass Traurig­keit und Depressionen unsere Seele ver­dunkeln wollen. Es braucht sehr viel Selbst­zucht und Disziplin, um diesem Druck des Martyriums des grauen Alltages standhalten zu können. Die Kraft dafür kön­nen wir schöp­fen aus dem Messopfer, das auch die Kaderschule, und zwar die beste, der Tugenden ist, die wir für unseren Alltag brauchen.


Im folgenden soll auf eine Tugend ein­gegangen werden, die zwar in keiner Weise so überragend ist wie die drei göttlichen Tugenden, und auch nicht so hell leuchtet wie die vier Kardinaltugenden. Und trotzdem scheint mir, diese in der Rangfol­ge bescheidene Tugend eine unabdingbare Notwendigkeit für unser tägliches Leben zu sein, um unseren Alltag mit Anstand und Würde vor Gott und den Menschen beste­hen zu können. Es geht um die TUGEND DER HEITERKEIT, um die HILARITAS MENTIS, wie die Theologie sie nennt.

Um den Erweis zu erbringen, wie not­wendig diese Tugend für uns ist, soll ein Wort des Herrn über das Fasten zitiert wer­den:

 

“Wenn ihr fastet, so macht kein fins­teres Gesicht wie die Heuchler! Die geben sich ein düsteres Aussehen, damit die Leute es ihnen ansehen, dass sie fasten. Wahrlich, Ich sage euch: Sie haben schon ihren Lohn. Wenn du fastest, salbe dein Haupt und wasche dein Antlitz, damit die Leute nicht sehen, dass du fastest, sondern nur dein Vater, der im Ver­borgenen ist. Dein Vater, der ins Ver­borgene sieht, wird es dir vergel­ten” (Mt 6,16-18).

 


Dieses Wort des Heilandes über das Fasten ist uns vertraut. Vielleicht ist uns aber we­niger bekannt, dass der “doctor angelicus”, der hl. Thomas von Aquin, in seiner SUM­MA THEOLOGICA die Tugend der Hei­terkeit eng mit dem Fasten verbindet (II, II, 146,1 ad 4). Thomas bezeichnet das Fasten als die Urgestalt aller Askese, aller Busse. Den hl. Augustinus zitierend, sagt er: es sei ganz und gar gleichgültig, was und wie viel einer esse, sofern dabei nur das Wohl derer, mit denen er Gemeinschaft habe, und sein eigenes Wohl und das Erfordernis der Ge­sundheit gewahrt werde; worauf es ankom­me, sei einzig dieses: mit welcher Leichtig­keit und Heiterkeit des Herzens er darauf zu verzichten vermöge, wenn Not oder Sol­len es verlangen (zit. Josef Pieper, Zucht und Mass, Seite 77).

Dies, so scheint mir, sei ein ganz be­deutsames Wort über das Fasten und über jegliche andere Askese, da gemäss Augus­tinus und Thomas einzig die Tugend der Heiterkeit über den Wert oder Unwert des Fastens und der Übungen der Busse ent­scheidet. Also: “Wenn ihr fastet, so macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler!”


 

Was ist die Tugend der Heiterkeit

 

 nicht?

 

 

 

Zuerst aber: was ist die Tugend der Heiter­keit nicht? Wie so viele andere Worte und Begriffe in unserer oberflächlichen und von der Lüge beherrschten Zeit ihres wahren Inhaltes geplündert worden sind - z. B. ist heute “klug”, wer schlau und gerissen ist -, so hat auch der Begriff der Heiterkeit sei­nen ursprünglichen Glanz verloren. Heiter­keit wird verwechselt mit Fröhlichkeit und Lustigkeit, mit homerischem Gelächter, auch mit guter Laune und der angenehmen Stimmungslage eines unbeschwerten Ge­mütes. Das ist die Tugend der Heiterkeit nicht!


Auch gibt es Menschen, die von Natur aus ein sonniges Wesen haben. Wie die Pflanze sich von selbst zur Sonne dreht, so wenden sich Menschen mit fröhlichem Ge­müt instinktiv vom Dunkel des Lebens ab. Auch dies ist nicht die Tugend der Heiter­keit des Geistes und des Herzens! Denn holt das Dunkle sie dann doch ein, und zwingt es sich ihnen auf, so dass sie es nicht mehr übersehen können, dann kann ihre fröhliche Grundstimmung augenblick­lich in eine traurige, ja sogar depressive Stimmung umschlagen.

 

 

Was ist die Tugend der Heiter -

­

keit?

 

 

 

Was also kann denn nun als Tugend der Heiterkeit be­zeichnet werden? Sie ist, wie erwähnt, nicht Sache eines glücklichen Tem­peraments, eines frohen Naturells, das jemandem sozusagen in die Wiege gelegt worden ist. Die Heiterkeit des Geistes und des Herzens ist die Frucht harten Ringens und Kämpfens, und zwar, so seltsam dies erscheinen mag, gegen sich selbst. Denn sie ist wohlgemerkt eine Tugend, oder wie der Lateiner sagt, eine virtus, was so viel be­deutet wie Mannhaftigkeit, Kraft, Stärke, Mut, Ent­schlossenheit. Ihr Leuchten stam­mt - und das ist sehr bedeutsam - aus der Reinheit und Keuschheit des Geistes, der in sich die Dunkelheit der Sünde überwunden und dem göttlichen Lichte Einlass gewährt hat.

Deutlich spricht dies der hl. Johannes vom Kreuz als Klage über jene Menschen aus, die dieses göttliche Licht abweisen:

 


“Oh ihr Menschen, die ihr zur Ge­meinschaft mit GOTT geschaffen und gerufen seid, was macht ihr nur da­raus? Womit vergeudet ihr eure Zeit? Euer Streben geht nach Niedri­gem, und euer Besitz ist ... jämmer­lich. Oh armselige Blindheit eurer Seele, die solch strahlendes Licht nicht sieht...!”

 


Um dieses “strahlende Licht”, wie der Hei­lige es nennt, empfangen zu können, muss der gottsuchende Mensch durch die DUNK­LE NACHT der Sinne und des Geis­tes von allem Gottwidrigen gereinigt und geläutert werden, sagt wiederum der hl. Johannes vom Kreuz. Deshalb kann die Tugend der Heiterkeit letztlich nur von der vierten Kardinaltugend her verstanden wer­den: der temperantia, der Mässigkeit oder der Zucht und des Masses, wie sie heute genannt wird. Mit Hilfe dieser Kardinaltu­gend vermag der nach Gott strebende Mens­ch die hemmenden und aufbegehren­den Kräfte der Sinne und des Geistes so in Zucht zu nehmen, dass sie dem Einströmen des göttlichen Lichtes in die Seele keinen Widerstand entgegensetzen. Die Tugend der Zucht und des Masses ist es, die jene innere Ordnung des Menschen bewirkt, aus der allein die Ruhe des Geistes fliesst. Es ist jene Ruhe, welche den innersten Raum der Seele erfüllt, eine Ruhe, “die das Siegel und die Frucht der Ordnung ist” (J. Pie­per). Johannes Cassianus sagt in seiner VÄ­TERLEHRE, dass “dazu dienen Ein­samkeit, Fasten, Nachtwachen, Kasteiun­gen”, also alles bewährte Hilfsmittel der vierten Kardinaltugend, die für moderne Ohren ein Greuel sind.


Allerdings - und das kann nicht stark genug betont werden - dürfen diese Hilfs­mittel niemals um ihrer selbst willen ge­braucht werden. Sie sind einzig und allein dazu gegeben, das Ziel, die gottgewollte Ordnung der Sinne und des Geistes, zu er­reichen, die wiederum Voraussetzung für das Einströmen des göttlichen Lichtes oder das Innewohnen Gottes in der Seele ist. Denn diese Hilfsmittel können für den reli­giös strebenden Menschen auch zur Gefahr werden. Aus all den genannten Bussübun­gen kann nämlich dem asketischen Men­schen die besondere Gefahr erwachsen, den Blick so sehr auf sich selbst, auf die eigene Person zu richten, dass z. B. sein Fasten die Selbstlosigkeit und Gelöstheit verlieren und sich in eine krampfhafte, die eigene Person zur Schau stellende Wichtigtuerei verkehren kann. Ja es kann so sehr miss­raten, dass ein auf diese Weise Fastender versucht ist, aus solchen sogenannten “as­ketischen Erfolgen” die Rente einer kräfti­gen Selbstbewunderung zu ziehen. Religiö­se Eitelkeit, Wichtigtuerei, das Sich-selbst‑wichtig‑Nehmen, pharisäische Über­heblichkeit über andere, die nicht so viel fasten: all das sind die typischen Gefähr­dungen des an und für sich religiösen Men­schen. Auf diese Gefährdung hat schon der hl. Papst Gregor der Große in seiner HIR­TENREGEL deutlich hingewiesen.

 

 

Wirkungsfeld der Tugend der Hei

 

terkeit

 

 


Genau hier hat nun die Tugend der Heiter­keit ihr Wir­kungsfeld. Sie ist der Erweis und das Gütesiegel ungeheuchelter Selbst­losigkeit und Echtheit allen asketischen Bemühens. An diesem Siegel kann man mit Gewissheit erkennen, dass Askese frei ist von Heuchelei und krampfhaftem Hinbli­cken auf die eigene Person. Die Tugend der Heiterkeit des Geistes und des Herzens ist das untrügliche Kennzeichen der Echtheit jeglicher Selbstzucht, ohne die ein Christ kein wirklich religiöses Leben führen kann, ge­schweige denn Priester und Ordensleute. Der im religiösen Sinne heitere Mensch ist also jener, der auf dem Fundament der Tu­gend der Zucht und des Masses die Ent­scheidung getroffen hat, alles Geschaffene um seines Schöpfers willen dahinzugeben, nicht aus Verachtung der Schöpfung, son­dern um das höchste Gut, den “Schöp­fer Himmels und der Erde”, Gott selbst, sein eigen nennen zu dürfen.

 

 

Hl. Franz von Assisi

 

 

Wenn wir dies an einem lebendigen Bei­spiel kurz verdeutlichen wollen, dann drängt sich geradezu das Leben des hl. Franz von Assisi auf. Er ist eine der leuch­tendsten Gestalten der Christenheit. Der Heilige hat die Tugend der Heiterkeit in atemberaubender Weise verwirklicht, er, der zugleich einer der grössten Büsser war, den die Kirche kennt.

Der hl. Franz von Assisi bezeichnete sich und seine Brüder als Spielleute Gottes, die in Heiterkeit das Lob des Herrn singen. Sein Mitbruder, namens Leo, sagte:

 


“Was sind die Knechte Gottes an­ders als Seine Spielleute, die an die Herzen der Menschen rühren und sie mit der Heiterkeit des Geistes erfül­len.”

 

Trotz härtester Busse wirkte der hl. Franz von Assisi nie finster, sondern allzeit fröh­lich, “weil durch seine asketische Busse hindurch wie ein himmlisches Licht die Verwandlung des Bitteren in Süssigkeit” leuchtete (W. Nigg). Aus solcher Busse entsprang seine “triumphale Heiterkeit”, die letztlich ein göttliches Mysterium ist, das sich nur dem religiösen Menschen of­fenbart. Der Heilige liess sich von dieser verwandelnden Kraft umgestalten, da er den Rat Gottes befolgte, der an ihn erging:

 

“Erfasse das Geistliche anstelle des Fleischlichen und Eitlen, das du ge­liebt hast, nimm das Bittere anstelle des Süssen, verachte dich selbst, wenn du Mich erkennen willst; denn was Ich dir sage, wird dich weise machen, wenn auch in ungewohnter Art” (Thomas von Celano).

 


So ist die Heiterkeit des hl. Franz von Assi­si die Folge eines radikalen Sieges über sich selbst. Deswegen, und nur deswegen, wurde ihm jene unendliche Freude zuteil, die mit Worten nicht ausgedrückt werden kann, weil er “das Bittere in Süssigkeit des Geistes und des Körpers” verwandelte. Er tadelte seine Brüder und ermunterte sie zu­gleich, wenn sie ihrer schwermütigen Stim­mung nicht Herr wurden. Dann belehrte er sie auf folgende Weise:

 


“Wenn der Knecht Gottes sich be­müht, die innere und äussere Heiter­keit des Geistes zu bewahren, die aus der Reinheit des Herzens kommt und durch demütiges Gebet erworben wird, dann können ihm die Dämonen nicht schaden, denn sie werden spre­chen: ‘Wenn der Knecht Gottes in Glück und Unglück heiter bleibt, dann können wir kein Tor finden, durch das wir eingehen in ihn, und können ihm nicht schaden.’ Dann aber triumphieren die Dämonen, wenn sie die Frömmigkeit und Hei­terkeit, die aus dem reinen Gebet und aus den anderen Werken der Tugend kommen, austilgen oder schwächen können. Denn wenn der Teufel am Knech­te Gottes etwas sein eigen nennt, dann wird er in Bälde aus einem Haar einen Balken ma­chen, indem er immer mehr zu dem Seinen hinzufügt, wenn jener nicht weise ist und sich bemüht, so schnell wie möglich den Anteil des Teufels an ihm durch die Tugendwerke des heiligen Gebetes, der Reue, der Beichte und der Busse zu zerstören. Meine Brüder, weil also diese Hei­terkeit des Geistes aus der Keusch­heit des Herzens und aus der Rein­heit des beharrlichen Gebetes kommt, müssen wir uns vor allem bemühen, diese beiden Tugenden zu gewinnen und zu bewahren, damit ihr diese Heiterkeit, die an mir und an euch zu schauen und zu fühlen meine heisseste Sehnsucht ist, im Inneren besitzt und nach aussen hin zeiget, zur Erbauung des Nächsten und zur Schande des bösen Fein­des. Denn sein und der Seinigen Anteil ist die Trauer, uns aber steht es zu, im­merdar fröhlich zu sein und uns im Herrn zu freuen.”

 


Und wenn das alles nichts nützt und die Traurigkeit und die Niedergeschlagenheit nicht aus dem Herzen weichen will - das kann trotz aller Bemühungen vorkommen, selbst der Heilige von Assisi hat geweint - dann müssen wir aus der Not eine Tugend machen. Denn nichts ist so geringfügig oder scheinbar so gleichgültig, ohne dass Gott es will oder zulässt, selbst bis zum bloßen Fallen eines Blattes. Wir wissen ja im Glauben, dass Gott so weise, gütig, mäch­tig und barmherzig ist, auch die an­scheinend unseligsten Ereignisse zum Nut­zen derer zu lenken, die seine göttlichen Zulassungen ausnahmslos anbeten und sie hinnehmen.

Gibt es in unserm Glauben etwas Tröst­licheres als diese Wahrheit? Besonders wenn man sich vor Augen hält, dass unser natürlicher Widerwille das Verdienst der Unterwerfung unter Gottes Zulassung oder Willen keineswegs schmälert, sondern im Gegenteil erhöht, falls nämlich der höhere Teil der Seele sich aufrichtig Gott beugt.

Oft gereicht uns eine derartige Unvoll­kommenheit, nämlich die des Widerwillens sogar zum Vorteil. Sie erhält uns demütig. Sie bewahrt sie uns davor, durch Selbst­gefälligkeit alles einzubüßen. Der französi­sche Philosoph und Theologe Fénelon sagt so schö­n: Es bedeutet eine große Gnade Gottes, nicht groß und tapfer, sondern ge­ring und be­scheiden leiden zu dürfen: so wird man geduldig, klein und demütig zu­gleich.


Und wenn tiefes Leid unsere Seele be­lastet, zugelassen von der göttlichen Vorse­hung, dann sollten wir anstatt eines “Es geschehe Dein Wille”, deren zwei dem Heiland sagen. Dann aber sollen wir versu­chen im höheren Teil der Seele, wo Ver­stand und Wille sind, in Frieden zu bleiben, mögen im niederen Teil, im Gefühl, noch so heftige Stürme und Unwetter toben. Der niedere Teil gleicht dem Fuß der hohen Gebirge. Da kann es in Strömen regnen und heftig hageln; der Gipfel strahlt indes im hellsten Lichte. Wir müssen uns nur in je­nen einsamen Höhen aufhalten, dann sind wir vor Blitz und Unheil sicher. Es bleibt aber bestehen: Die “Reinheit des beharr­lichen Gebetes” und “die Keuschheit des Herzens” sind die Quellen, aus denen die Tugend der Heiterkeit fliesst.

Letzteres, die Keuschheit führt uns noch einmal zurück zur Tugend der Zucht und des Masses. Von ihr sagt der hl. Augusti­nus, dass sie dahinziele, den Menschen un­versehrt und unangetastet für Gott zu be­wahren. So kann also nur der zuchtvolle und keusche Mensch im wahren und eigentlichen Sinne heiter sein, weil Gott in ihm wohnt. Christus verheisst:

 

“Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen” (Mt 5,8).

 


Dieses Innewohnen Gottes in einem reinen und keuschen Menschen, dessen Lohn die Anschauung Gottes selbst ist - in unvoll­endeter Weise bereits schon im diesseitigen Leben - wird nach aussen hin sichtbar in der Heiterkeit des Geistes und des Herzens. Und weil sie eine Tugend ist und nicht das flüchtige Geschenk eines glücklichen Au­genblicks, ist sie unzerstörbar. Selbst die Erschütterung durch einen tiefen Schmerz oder die Nähe des Todes vermögen ihr nichts anzuhaben. Einzig die Sünde kann sie verderben, und wandelt die Heiterkeit in die Verzweiflung und Traurigkeit dieser Welt.

 

 

Die Traurigkeit der Welt

 

 


Die Traurigkeit dieser Welt mit ihrer Ver­zweiflung ist die schlimme Frucht der Zuchtlosigkeit. Wer in ungehemmter Mass­losigkeit darauf bedacht ist, seinen Geltungs- und Genusstrieb auszuleben, in der Meinung, das Glück und die Erfüllung seiner Wünsche - nach heutigem Sprachjargon: die Selbstverwirklichung - erjagen zu können, der wird das Ziel nie erreichen. Im Gegenteil: er hat den Weg der Verzweiflung beschritten.

Wer die Augen vor der Wirklichkeit unserer Zeit nicht verschliesst, weiss, dass die künstlichen Paradiese zuchtlosen Ge­niessens dem Menschen keine Glückserfüllung bieten, sondern lediglich ein kurzes Selbstvergessen, um ihn dann in noch grössere Trauer und Verzweiflung zu entlassen, welcher der zuchtlose Mensch durch immer neues Befriedigen der Sinne zu entkommen sucht. Das ist ein “circulus vitiosus” (ein lasterhafter Kreislauf) im wahr­sten Sinne des Wortes! Dass die Sün­de eine Last ist, ein furchtbarer Frondienst, tritt nirgends deutlicher zutage als in der Sünde der Zucht­losigkeit, der Unzucht schlechthin. Sie führt letzten Endes zur Selbstzerstörung, was die Seuche AIDS mit nicht zu überbietender Deutlichkeit zeigt.

 

 

 

Keuschheit des Herzens

 

 


Um es noch einmal zu sagen: Die Heiter­keit des Geistes stammt vor allem aus der Keuschheit des Herzens, jener vorbehaltlo­sen, völlig selbstlosen Hingabebereitschaft an Gottes Willen, aus der allein das Wort gesprochen werden konnte:

 

“Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort” (Lk 1,38).

 

Die Frucht solch vollkommenster Hingabe war Gottes Sohn selbst, Jesus Christus!

So hoch dieses Ziel uns auch scheinen mag, sollten wir an der Hand unserer himmlischen Mutter, mit der tapferen Be­reitschaft eines vertrauenden Herzens, alles daran setzen, Jesus Christus als Lohn der Tugend zu gewinnen. Dann dürfen auch wir, erfüllt von überströmender Freude und Heiterkeit, mit dem hl. Johannes vom Kreu­ze singen:

 

 

Mein sind die Himmel,

Und mein ist die Erde.

Mein sind die Menschen,

Die Gerechten sind mein,

 

Und mein sind die Sünder.

Die Engel sind mein.

Und die Mutter Gottes ist mein,

Und alle Dinge sind mein.


 

Und GOTT selbst ist mein,

Da CHRISTUS mir gehört,

Ist alles mein.

 

 

                                                                                Amen

 

 

 

 

 

 

 

Quellenhinweis:

 

 

Ø Boldt J. OCD, Johannes vom Kreuz, Reihe: Zeugnisse mystischer Welt­erfahrung, Lizenzausgabe 1983 mit freundlicher Genehmigung des Walter-Verlages, Olten.

 

Ø Nigg W., Große Heilige, Zürich 19668.

 

Ø Pieper J., Zucht und Mass, München 19608.

 

Ø Schnitzler Th., Die Messe in der Betrachtung, 2. Band, Freiburg i. Br. 1957.

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